Nuklearforschungsschiff "Otto Hahn" / WHV / 1:250

  • Hallo Kartongemeinde,


    nach der „ollen Kamelle“, der Rekonstruktion des alten Bauberichts von Seiner Majestät Großem Kreuzer „Blücher“ aus dem Jahre 2010 geht es wieder Richtung Gegenwart – mit den Galeriebeiträgen der nächsten Zeit möchte ich die Modelle vorstellen, die ich seit Jahresbeginn 2019 gebaut habe.


    Schon lange juckte es mich in den Fingern respektive in der Schere, mal das Nuklearforschungsschiff „Otto Hahn“ anzuschneiden. Als 158. Modell aus der Nibelungen-Werft hat dieses Schiff nun seine kartonale Indienststellung erlebt – gebaut habe ich daran von 02.01.19 – 24.02.19; verbaut wurden 1001 Teile, davon 884 Original- und 117 Selbstbau- bzw. Laserteile.


  • Das Vorbild stammt aus einer Zeit, als man noch nicht zusammenzuckte und in Schnappatmung verfiel, wenn jemand den Begriff „Kernenergie“ mal laut ausgesprochen hat – und panikartige Abschalt- und Ausstiegsreaktionen auf Grund von etwas eigenwilligen Interpretationen der Wirklichkeit waren da, was die Technik betraf, auch noch nicht so verbreitet wie heute denk1 ....


  • Zum Bogen:


    Dieser ist sauber und passgenau konstruiert (eventuelle „Unebenheiten“ führe ich hier eher auf meine mangelnde Fingerfertigkeit zurück) und das Modell glänzt vor allem mit der von den älteren WHV-Modellen bekannten Bauanleitung in Textform. Hier ist - wenn es auch manchmal nicht ganz leicht ist zu verstehen, wie mit das Teil zusammengebaut werden soll – in jedem Fall wenigstens JEDES Teil erwähnt und man muss nicht rätselratenderweise stundenlang grübeln, was mit einem Teil am Modell geschehen soll.


    Das ganze ist keine Überraschung - stammt der Bogen doch aus der Feder von Gerhard Neubert, dem großen Altmeister der kartonalen Konstruktion.


  • Fazit:


    Ein Bau, der mir, obwohl gelegentlich fordernd, Spaß gemacht hat – vor allem nach dem Baufrust bei der SMS „Dresden“ war es eine richtige Wohltat, ein durchaus auch etwas anspruchsvolles Modell dann mal mit Vergnügen zu bauen.


    Beim Bau hatte ich nur ein größeres Problem, nämlich beim Schanzkleid am Heck: Während sich das Heck recht gut formen ließ, blieb beim darüber liegenden Schanzkleid ein Spalt – ob das an der Konstruktion liegt oder an meiner Bauerei, kann ich nicht sagen; ich vermute aber, dass ich hier wohl nicht ganz genau vorgearbeitet habe. Da das Schanzkleid weiß ist, kann man aber ohne größere Farbprobleme diese Lücke schließen.


  • Was mir nicht so gefallen hat, das ist die Lösung für Bug- und Heckteil beim Rumpf, die hier gewählt wurde. Wie üblich wird das jeweilige Teil durch Streifen bzw. Fahnen zusammengesetzt, um mit dem Karton „um die Kurven zu kommen“. Aber diese Streifen sind nicht, wie bei anderen Modellen üblich, als Verlängerung der geraden Seitenbordwand vorhanden, sondern als separate Teile, die zusammengeklebt werden müssen. So erhält man neben den unvermeidlichen horizontalen Klebelinien an Bug und Heck auch noch eine vertikale Klebelinie, mit der das jeweilige zusammengeklebte Bug- bzw. Heckteil dann an die gerade Seitenwand angebracht ist. Aber das tut dem sehr positiven Gesamteindruck bei diesem Modell jetzt keinen größeren Abbruch.


  • Der Rumpf ist vielleicht nicht unkompliziert zu bauen, aber ansonsten geht das Ganze sehr gut von der Hand und liefert auch ein schönes Ergebnis. Es ist nicht unbedingt ein leichtes Modell, aber von Kartonmodellern mit etwas Bauerfahrung doch recht gut zu meistern, denke ich.


    Deshalb ist es für mich erstaunlich, dass man dieses Schiff nicht so oft in der kartonalen Welt findet – eine saubere und passgenaue Konstruktion eines meiner Meinung nach auch formschönen Schiffes hätte doch auf etwas größere Verbreitung stoßen sollen, finde ich.


  • Oder ist es so, dass hier nur fanatische Kernkraftgegner beim Kartonmodellbau am Werk sind? denk1


    Es soll ja schließlich auch dem Vernehmen nach Modellbauer geben, denen untersagt die Lebens(abschnitts)gefährtin beispielsweise den Bau von Walfangbooten aus Karton, weil man damit ja zeige, dass man das Abschlachten der Wale unterstütze… frech 5


  • Nun ja, jedenfalls stammt das große Vorbild aus einer Zeit, als man in der Kernenergie noch die Lösung der Energieprobleme der Zukunft sah. Und wenn man bedenkt, dass eine Reaktorfüllung für 20.000 Betriebsstunden gereicht hat, in der ansonsten 40.000 t Öl verbrannt hätten werden müssen (man denke nur an das dabei freigesetzte CO2 und an das Lieblingsthema der Gegenwart, den Feinstaub grins 2 ), dann wäre das Ganze auch nicht so übel gewesen, wenn man denn je eine vernünftige Lösung für den bei einem Reaktor anfallenden Atommüll gefunden hätte.


  • Durch den Betrieb der „Otto Hahn“ konnten viele Erkenntnisse über den Einsatz von Nuklearanlagen gewonnen werden, insbesondere über die Betriebsstabilität bei Schiffsbewegungen sowie über Anlagen- und Reaktorsicherheit.


    Aber insgesamt gesehen war der Betrieb des nuklear getriebenen Frachters nicht so wirtschaftlich wie erhofft, denn neben dem relativ hohen Wartungsaufwand gab es auch andere Beschränkungen: Beispielsweise durfte die „Otto Hahn“ viele Häfen aus Sicherheitsgründen gar nicht oder nur mit Sondergenehmigung einmal anlaufen - hauptsächlich Häfen in Südamerika und Afrika. Eine Passage durch den Suez- oder den Panamakanal wurde ihr stets verwehrt.


  • Schon die Sicherheitsanforderungen an die Reaktoranlage erforderte einen erheblichen Aufwand: Es waren erforderlich zusätzliche Verstärkungen der Schiffskörperverbände im Reaktorbereich, größere Doppelbodenhöhen und Doppelbodenkonstruktionen, Kofferdämme usw. Allein die gesamte Reaktoranlage wog 2.185 Tonnen.



    Hier ein Blick auf den Reaktordeckel und den Kran zum Wechseln der Brennstäbe (dieser ist, wie man auf manchen Originalfotos sehen kann, nicht auf der rechts an der Brückenvorderwand vorhandenen Ablage abegestützt, sondern oben am Schanzkleid - schien man da durchaus auch im Großen so gemacht zu haben).


    Natürlich hatte ich beim Einbau der Brennstäbe hier entsprechende Schutzkleidung an.... happy1

  • Auch waren 2 der 6 Ladeluken nicht gerade optimal positioniert: Die Luken 5 und 6 lagen nämlich auf der Poop zwischen den Aufbauwänden (vor allem Luke 5) und auch zwischen den Sonnensegelstützen, was eine ganz besonders sorgfältige Kranführung beim Be- und Entladen erforderlich machte, könnte ich mir vorstellen.


    In Dienst gestellt wurde die „Otto Hahn“ 1968 und nach 11 Jahren wurde sie 1979 stillgelegt; anschließend erfolgte der Rückbau der Reaktoranlage und die Ausrüstung des Schiffes mit normalen Dieseln. In der Folge umgebaut zum Containerschiff, später nochmals zum Mehrzweckfrachter, war sie für diverse Gesellschaften im Einsatz. 2009 wurde das ehemalige Nuklearforschungsschiff dann endgültig stillgelegt und zum Abbruch nach Bangladesh verkauft.


  • Neben der deutschen „Otto Hahn“ gab es – abgesehen mal von den nukleargetriebenen Eisbrechern der Sowjets – nur noch zwei andere zivile Schiffe mit Kernenergieantrieb: die US-amerikanische „Savannah“ (1962 in Dienst und 1970 stillgelegt), sowie die japanischen „Mutsu“ (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Schlachtschiff der kaiserlich-japanischen Flotte im WW II grins 2 ), die allerdings nie so richtig in Fahrt kam (1970 in Dienst und mit mehrfachen Stilllegungen 1973 bereits wieder endgültig außer Dienst). Auch zu dem in den 70ern noch vorgesehenen Bau von zwei nukleargetriebenen Containerschiffen kam es in Deutschland nicht mehr.



    Nebenbei bemerkt: Einer der Kapitäne der „Otto Hahn“ war Lehmann-Willenbrook, Kommandant der U-Boote U 5 und vor allem U 96 (bekannt aus dem Film „Das Boot“). Er führte den „Atomfrachter“ von 1969-1974.


    Das war's vom "Atomfrachter" - demnächst folgt die nächste Einschaltung.... grins 2


    Servus
    hvt

  • Hallo Hagen,


    ich bin Kernkraftgegner, kann aber das eine vom anderen unterscheiden und freue mich über Deine gelungene Präsentation der OTTO HAHN. Es ist in der tat ein schönes Schiff gewesen und Du hast ein tolles Modell gebaut. Allein die Sonnensegelstützen sind Klasse! Bei den Internationalen Modellbautagen 2018 im Tamm-Museum habe ich mich zum ersten Mal mit dem Schiff beschäftigt. Ein Modellbauer zeigte sein großes Modell der OTTO HAHN und erklärte sehr interessant die einzelnen Bereiche des Schiffes. Es war damals eine sehr zukunftsgläubige Epoche mit einem nach vorn gerichteten Zeitgeist. Leider hatte das Schiff dann doch nicht den Erfolg den die Betreiber erwartet hatten.


    Als weitere Zusatzinfo, zu Deinem wie immer sehr Informationsreichen Beitrag, kann ich noch sagen, dass der Schornstein des Schiffes lange Zeit am DSM Aussengelände zu sehen war. Ob das heute noch so ist weiß ich nicht. Wer weiß, wo schon komplette Schnellboote »verschwinden« kann so ein Teil eines Atomfrachters auch mal fix abhanden kommen... denk1


    Viele Grüße,


    Klaus

  • Danke, Klaus, für die Bewertung und auch Deine Info! daumen1


    Ja, an den Schornstein der "Otto Hahn" kann ich mich auch noch erinnern aus der Zeit, wo die Nibelungen beim Kartonmodellbautreffen in BHV in dem betreffenden Forum noch gern gesehene Gäste waren - lange ist's her.... lala1


    Das mit dem Schnellboot - wenn man sich da ein wenig hineinvertieft, könnte man schon einen dicken Hals bekommen.... brüll1


    Aber offenbar hat wenigstens der "Schornstein" des Nuklearfrachters doch das Überleben geschafft!


    Servus
    hvt

  • Hallo Hagen!


    Ein hochinteressantes Vorbild und ein sehenswertes Modell!


    Beide zählen auch für mich zu den beachtenswerten Errungenschaften
    in der Welt der Technik und des Kartonmodellbaus.


    Gruß


    Adolf

  • Moin Hagen
    Gefällt mir gut, das Du Dich an diese alten Wilhelmshavener heran machts. Vor allem auch mit Deinem inzwischen erworbenen Modellbaufähigkeiten.gelingen Dir einwandfreie und sauber gebaute Modelle. Das Modell habe ich vor langer Zeit gebaut, und auch 2014 im alten Forum gezeigt.
    Gruß Hans Joachim

  • ... schönen Abend,


    vielleicht ein klein wenig nostalgisch-wehmütiges dazu: die Jahre bis 1968 gehören mit G. Neuberts Schaffen (meiner persönlichen Meinung nach) zu den wichtigsten Jahren (west)-deutscher Modellbogen-Kultur. In jeder Hinsich stil- und genreprägend - und vor allem Vorbild bis heute. Meiner Meinung nach sind auch nach 50 Jahren alle (west)-deutschen Schiffs-Modellbogen von Rang eine stille Verbeugung vor diesem Ausnahmetalent.
    Mit "Otto Hahn" erschien 1968 Neubert's letzte Schöpfung in der Ära LEHRMITTELINSTITUT ... und auch wenn das Konzept "Cap San Diego" in der Rückschau das attraktivere Modell ist - die "Otto Hahn" (6 Jahre nach CSD veröffentlich) zeigt gegenüber der CSD die noch vollkommenere Umsetzung eines 3-dimensionales Schiffes in die Fläche.
    Persönlich war ich damals - ganz jung und total ahnunglos - völlig baff, weil "danach" lange nichts mehr kam ... zuviel hatte sich verändert, zuviel war verloren. 1975 saß ich bei den Pangerls im Wohnzimmmer und durfte mir eine komplizierte Geschichte anhören, warum aus dem LI der Jade-Verlag wurde, warum viele Modellprodktionen damals für immer verloren schienen, warum man mit Herrn Neubert nicht "konnte" usw. usw. usw.
    Einige Jahre später (1981) durfte ich Neubert dann persönlich kennenlernen und empfand ihn eher als etwas speziell (Um nicht zu sagen "schwierig"). Aus einer tiefer gehenden Bekanntschaft wurde nichts - dazu waren wir zu unterschiedliche Charaktere - unsere letzte Begegnung (1990 in Bremerhaven) war dann auch eher etwas verhalten - danach sind wir uns nie wieder begegnet. Was ich persönlich bedauere. Obwohl die Familie Neubert nur knapp 45 Autominuten von mir entfernt wohnte ...


    1968 ging nach meiner Meinung nach eine Ära zu Ende ... in gewisser Weise heute noch bedauerlich ...


    Apropros: Hat irgendjemand schon mal einen der aktuellen »neu gezeichneten« Modellbogen aus Wilhelmshaven in der Hand gehabt ... ?
    Da liest man ja so gar nichts ... gibt's die denn wirklich?


    Herzliche Grüße
    Thomas

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